Erziehung

EIN GROSSES WORT HINTERFRAGT

Erziehung – diesen Begriff nutzen wir Hundefreunde oft – gerade, wenn es um junge Hunde geht. Aber was steckt dahinter? Hundeerziehungsberater und der Hund Club-Experte Holger Schüler setzt sich mit dem Wort und dessen Bedeutung auseinander.

Unter Erziehung versteht man die pädagogische Einflussnahme auf die Entwicklung und das Verhalten eines Lebewesens. Bei unseren Hunden wollen wir durch eine gute Erziehung die Bindung zwischen uns selbst und dem Vierbeiner stärken. Darüber hinaus können wir mit ihrer Hilfe den Alltagsstress minimieren und ein konfliktarmes Leben in unserer ständig wachsenden Gesellschaft ermöglichen. Es geht also sowohl um das körperliche und mentale Wohl des Hundes als auch unser eigenes als Hundehalter.

Knackpunkt Kommunikation

Eine wichtige Voraussetzung, damit die Erziehung des Hundes gut klappen kann, ist eine funktionierende Kommunikation zwischen Ihnen und Ihrem Hund. Erziehung ist Kommunikation, sowohl über Körpersprache und Mimik als auch über Körper-Anspannung und -Entspannung. Der erste Schritt hierzu ist es, immer ein offenes Ohr, offene Augen für die Fragen (also etwa Blickkontakte bei schwierigen Aufgaben) und Probleme des Hundes zu haben. Im zweiten Schritt geht es dann darum, eine alters- und artgerechte Antwort zu geben. Erziehung heißt nicht, auf Teufel komm raus mit zu viel Druck an unserem Hund zu arbeiten oder ihn ständig zu gängeln.

Vertrauen schaffen

Vielmehr ist das Ziel der Hundeerziehung, dass unser Hund uns vertraut, mit uns gut zusammenlebt und in gefährlichen und kritischen Situationen in einer für uns angemessenen Weise reagieren kann. Dafür braucht der Vierbeiner guten Grundgehorsam. Es liegt aber natürlich nicht allein an ihm: Auch wir Hundebesitzer brauchen Vertrauen zu unserem Hund und müssen an uns arbeiten.

Mit der Selbstreflexion sollten wir schon loslegen, bevor wir überhaupt einen Hund für uns auswählen. Zu oft höre ich Sätze wie: „Sie müssen mir helfen, ich kann meinen Hund nicht halten, da er jetzt schon 42 Kilo wiegt und ich gerade mal 48!“ Das Aussehen sollte bei der Hundewahl hintenanstehen. Viel wichtiger ist es zu prüfen, ob das Wesen und der Hintergrund des Tieres zur individuellen Lebenssituation passen. Liegen Hund und Mensch damit, was sie brauchen und mitbringen, auf einer Wellenlänge, wird auch das Zusammenleben harmonischer sein. Und etwaige Stolpersteine lassen sich besser bewältigen.

Was ist angemessenes Verhalten?

Unter Hundeerziehung verstehen wir nicht überall auf der Welt dasselbe, denn der Begriff hat etwas mit Verhalten zu tun, das in einer Gesellschaft als angemessen betrachtet wird. Angemessenes Handeln muss einerseits den gesellschaftlichen Normen, andererseits der Persönlichkeitsstruktur des Hundes entsprechen. Die Grundlagen für die Ausbildung legen Sie als Hundehalter selbst fest. Sie richten sich danach, welchen Gehorsamsanspruch Sie gegenüber Ihrem Hund haben. Ihr Lebensumfeld spielt in diese Entscheidungen mit hinein. Seien Sie sich daher von Anfang an darüber im Klaren, welche Aufgaben und Fähigkeiten Ihr Hund lernen soll und natürlich auch kann.

Motivation für Mensch und Hund

Eine Methode, die bei der Erziehung zum Einsatz kommt, ist die Konditionierung. Laut Roger M. Tarpy von der Bucknell University Williamstown in den USA ist die klassische Konditionierung für viele ein elementarer Lernprozess und zugleich eine Technik zur Einübung von Verhalten. Klassisches Konditionieren wurde bei einer Vielzahl von Organismen – vom Menschen bis zu Flachwürmern – demonstriert, und es hat sich gezeigt, dass dieses Vorgehen in der Tat einen grundlegenden Lernprozess repräsentiert.

Was man natürlich im Kopf behalten sollte, ist, dass dem Verhalten des Hundes bestimmte Motivationen zugrunde liegen. Das heißt: Er möchte bestimmte Bedürfnisse befriedigen. Der Hund macht etwas, weil es sich für ihn lohnt. Wenn unser Hund keine Motivation hat und seine Bedürfnisse befriedigt sind, wird er ein damit verknüpftes erwünschtes Verhalten nicht in dem Maße zeigen, wie wir es gerne hätten. Die Aufgabe für Hundeerziehungsberater wie mich ist es, den Menschen immer wieder eine Lösung an die Hand zu geben, wie sie ihre Baustellen mit dem Hund bewältigen können. Dazu gehört auch, zu dolmetschen und dementsprechend zu erklären, was der Hund in bestimmten Situation zeigt und warum er das tut. Meistens liegt der Schlüssel zur Lösung eines Problems beim Zweibeiner. Ich als Hundebesitzer muss das, was ich möchte, vorleben. Wenn ich unklar bin, kann mein Hund nicht klar sein. Es muss fair zugehen und dafür ist es wichtig, motiviert Zeit und Geduld in uns selbst und unseren Vierbeiner zu investieren.

Verantwortung und Perspektivenwechsel

Unsere Hunde können sich nicht aussuchen, wo sie leben wollen, das entscheiden wir. Damit einher geht es auch, Verantwortung zu übernehmen. Wir entscheiden, wann der Hund rausgehen darf, was es zu Fressen gibt, mit wem er spielen darf/soll oder nicht und mit wem er sich gegebenenfalls fortpflanzen darf. Wer viel entscheidet, sollte dabei immer auch den im Kopf behalten, über den er bestimmt.

Oft kommen Probleme bei der Erziehung auf, da wir nun einmal die Welt eher aus unserer menschlichen Perspektive sehen. Damit sind häufig viele Emotionen verwoben. Aber unser Hund kann die Welt nur aus seiner Perspektive wahrnehmen. Daher ist nichts falsch, was der Hund macht. Wir müssen es nur mal mit seinen Augen sehen und verstehen. Das gehört zur Erziehung dazu und dieser Perspektivenwechsel macht uns zu besseren „Erziehern“. Für viele Menschen gehört es dazu, Hunde viel zu streicheln und zu umarmen. Während manche Vierbeiner das toll finden, gibt es auch solche, für die das einen unangenehmen Übergriff darstellt. Ein ständiges frontales Ansprechen ist für uns Menschen normal, aber für Hunde oft eine Bedrohung.

Den Hund Hund sein lassen

Wir tendieren heute mehr denn je dazu, unsere Vierbeiner zu vermenschlichen. Es ist wichtig, darüber nachzudenken und kritisch zu prüfen, ob das nicht vielleicht in die Erziehung hineinspielt. Vermenschlichung ist meiner Ansicht nach nicht kategorisch schlecht. Im Endeffekt könnte man es genau genommen auch als Vermenschlichung betrachten, wenn der Hund mit auf die Couch darf, und das ist für viele Mensch-Hund- Teams ja durchaus okay. Aber als Vermenschlichung können wir es auch betrachten, wenn wir mit dem Hund reden und verlangen, dass er uns versteht. Sätze wie: „Warum hast du das gemacht, ich habe dir doch gesagt …“ erreichen nur eines: Sie drücken unseren Frust aus. Mit einem feineren Verständnis für menschliche und hündische Körpersprache und die Kommunikation darüber können wir mehr erreichen.

Erziehung basiert also auf Kommunikation, die für Hund und Mensch verständlich und fair ist. Sie erfordert die Bereitschaft, die Perspektive zu wechseln und an sich zu arbeiten, nicht nur daran, was der Hund abrufen kann und wie viele Signale er kennt. Erziehung ist mehr als nur Bedingungen zu stellen. Es gehört dazu, den Hund auch Hund sein zu lassen und typisches Verhalten zu akzeptieren, dass für uns vielleicht nicht direkt verständlich scheint. Erziehung – der Weg zum gegenseitigen Verständnis, Vertrauen und an den individuellen Lebensalltag angepasstes Können – ist keine Einbahnstraße und schlussendlich für jedes Mensch-Hund-Team einzigartig.